Wie können Unternehmen authentisch handeln, um Glaubwürdigkeit als Voraussetzung für Vertrauen als Voraussetzung für Identifikationsbeziehungen aufzubauen? Und ist Cause-related-Marketing eine geeignete Methode dafür?
Wer sich mit einem Unternehmen identifiziert, kauft seine Produkte – immer und immer wieder. Stabile Identifikationsbeziehungen aufzubauen, ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens.
Voraussetzung für Identifikation ist Vertrauen: Wer einem Unternehmen nicht vertraut, identifiziert sich nicht mit ihm.
Voraussetzung für Vertrauen ist Glaubwürdigkeit: Wer einem Unternehmen nicht glaubt, vertraut ihm nicht.
Voraussetzung für Glaubwürdigkeit ist Authentizität: Wer ein Unternehmen nicht für authentisch hält, glaubt ihm nicht.
Glaubwürdigkeit und Identifikationspotenzial
Dramaturgisch gesehen, ist eine Figur authentisch und glaubwürdig, wenn sie mit ihren Handlungen (inklusive Sprechhandlungen, sprich: Dialog) ein bestimmtes Ziel aus einem bestimmten Grund erreichen will, wenn also ihr Handeln und Planen mit ihren Werten übereinstimmen.
Identifikation mit einer Figur entsteht, wenn die Rezipient*innen Ziel und Motivation nachvollziehen können und ebenfalls für erstrebenswert halten.
Vor allem die Motivation ist entscheidend, also die Frage nach dem Warum: Warum tut die Figur, was sie tut?
Cause related Marketing und Motivation
Ob ein Unternehmen mit einer CrM-Kampagne Glaubwürdigkeit und Identifikation aufbauen kann, hängt entsprechend von der Frage ab, welche Motivation für diese Kampagne die Menschen ihm zuschreiben.
Eine interessante Antwort auf diese Frage liefert die bundesweite Studie Cause related Marketing – Der Status Quo in Deutschland von Dr. Shamsey Oloko, in der er die Bedeutung von CrM-Kampagnen für Konsument*innen, Unternehmen und NGOs untersuchte.
Sie zeigt, dass viele CrM-Maßnahmen von den Menschen nur bedingt als authentisch und glaubwürdig empfunden werden, weil sie dem Unternehmen hauptsächlich egoistische Motive unterstellen (interessanterweise im Gegensatz zu den Unternehmen die primär altruistische Motive als Grund angeben):
96,6 % der Konsument*innen glauben, dass es einem Unternehmen in erster Linie nicht darum geht, Gutes zu tun und Verantwortung zu übernehmen, sondern das Markenimage zu verbessern; 85,2 % gehen davon aus, dass das Unternehmen den Absatz ankurbeln will; 75,6 % unterstellen eine Demonstration von Verantwortung; 20,4 % glauben, dass ein Unternehmen damit eine Preiserhöhung vorbereiten will; nur 20 % halten ein altruistisches Motiv als wichtig für ein Unternehmen.
Entsprechend gering ist die Anzahl der Konsument*innen, die aufgrund einer CrM-Kampagne tatsächlich das Produkt wechseln: 11,3 %.
Diese Zahl ist umso interessanter, da immerhin 52,8 % der Konsument*innen sogar bereit wären, für ein gesellschaftlich verantwortungsvolles Produkt einen höheren Preis zu bezahlen.
Die Studie stammt zwar aus dem Jahr 2008, ihre Ergebnisse dürften heute allerdings eher noch deutlicher ausfallen, da wir seitdem in Zeiten eines immer größer werdenden Glaubwürdigkeitsverlustes leben: Werbung, Journalismus, etablierte Parteien, nationale, europäische und internationale Politik und Institutionen, die Banken im Besonderen, die Finanzwirtschaft im Allgemeinen, die Automobilbranche, die FIFA, das IOC usw. – niemandem wird mehr ohne weiteres geglaubt. Überall schlagen Skepsis und Misstrauen entgegen. Und das leider nicht unbegründet.
Teilzeit-Verantwortung und Ablasshandel
Zwei Schlüsse lassen sich aus den Zahlen der CrM-Studie ziehen: Entweder schöpfen die Unternehmen das Potenzial von CrM nicht aus. Oder es gelingt CrM als solchem nicht in ausreichendem Maße, Glaubwürdigkeit aufzubauen und letztlich Identifikation zu etablieren.
Aus Sicht des Professionellen Storytellings trifft der zweite Schluss zu und zwar aus zwei Gründen:
- der Koppelung der Spende an den Kauf eines Produkts
- der zeitlichen Befristung einer Kampagne
Natürlich ist es besser, wenn ein Unternehmen mittels einer CrM-Kampagne etwas Gutes tut als wenn es das nicht tut. Die Kauf-Spende-Koppelung wirkt jedoch wie eine emotionale Erpressung – „Wir sind nur dann verantwortlich, wenn Ihr unser Produkt kauft“ (oder im Umkehrschluss: „Wenn Ihr unser Produkt nicht kauft, handeln wir auch nicht verantwortlich.“) – und wie ein Ablasshandel: „Nur wenn Ihr unser Produkt kauft, wascht Ihr euer Gewissen rein.“ (oder im Umkehrschluss: „Ihr bleibt Sünder, wenn Ihr unser Produkt nicht kauft.“).
Die zeitliche Befristung erweckt den Eindruck einer „Teilzeit-Verantwortung“: Während das Unternehmen die Kampagne durchführt, handelt es verantwortlich. Und die restliche Zeit?
Über verantwortliches Handeln kann ein Unternehmen nur dann Glaubwürdigkeit und Identifikation aufbauen, wenn es ganzheitlich (also nicht nur mit bestimmten, sondern mit jeder seiner Handlungen) und damit auch ganzzeitlich (und nicht nur ab und zu) verantwortlich handelt.
Ganzheitliche und ganzzeitliche Verantwortung
Von „Ganzheit“ spricht die fiktionale Dramaturgie, wenn die vier Welten einer Figur „heil“ sind und widerspruchslos miteinander interagieren, wenn also beispielsweise die erfolgreichen Handlungen, Planungen und Beziehungen der Figur ihren Werten folgen und diese damit bestätigen.
Die vier Welten eines Unternehmens:
- Innere Welt des Seins: Werte, Überzeugungen, Standpunkte, Glaubenssätze etc. > WARUM?
- Emotionale Welt der Beziehungen: Beziehungen zu anderen Menschen, Dingen, Ideen, Artefakten etc. > MIT WEM? FÜR WEN? und GEGEN WEN?
- Rationale Welt des Handelns: Logik, Zielsetzung, Planung, Reflexion, Argumentation, Rechtfertigung > WAS?
- Äußere Welt der Handlungen: Handlungen > WIE?
„Nutze dein Unternehmen…“
Das Paradebeispiel eines solch ganzheitlich und ganzzeitlich werteorientierten Unternehmens ist der Outdoor-Bekleidungshersteller Patagonia aus Ventura, Kalifornien (den ich im Storytelling-Handbuch ausführlich analysiere). Der Kern seiner unternehmerischen Identität ist eine einfache und klare Vision (also ein zukünftiger Zustand, in dem universelle Werte realisiert sind, bei Patagonia: Leben, Sicherheit, Gesundheit und Gerechtigkeit):
eine Welt, in der die Umweltkrise gelöst ist, in der die Menschen mit allem, was sie tun, die Umwelt nur so wenig belasten, dass sie im Gleichgewicht bleibt und sich selbst wieder regenerieren kann, in der die Herstellung von Produkten so wenig Ressourcen verbraucht und so wenige Schadstoffe erzeugt, dass unsere natürliche Lebensgrundlage erhalten bleibt: »[…] to reimagine a world where we take only what nature can replace.«, heißt es auf der Website.
Entscheidend für die hohe Authentizität, die große Glaubwürdigkeit und das enorme Identifikationspotenzial ist, dass Patagonia diese Vision nicht nur behauptet, sondern mit Haut und Haaren lebt, indem es sie ins Zentrum seines Unternehmertums stellt:
Jede Entscheidung und jede Handlung leiten sich aus ihren Werten ab und wird durch sie legitimiert – sowohl im Hinblick auf die Organisationsstruktur und Unternehmensführung, den Umgang mit den Mitarbeitenden und die Auswahl der Partnerunternehmen als auch hinsichtlich der Entwicklung, Produktion und Entsorgung der Produkte.
Außerdem beweist Patagonia über seine Produkte und sich selbst hinaus, dass es seine Vision ernsthaft verfolgt, indem es beispielsweise Umweltaktivisten unterstützt, junge Unternehmen mit der gleichen Vision fördert und Dokumentarfilme über die Rettung der Umwelt produziert.
Aus der Perspektive des Professionellen Storytellings ist ein Unternehmen der Erzähler einer Story mit sich selbst als Hauptprotagonist. Betrachtet man Patagonia als Story, dann lautet seine zentrale (Unternehmens)Frage:
Was können wir tun, um die Natur zu schützen? Wie können wir dazu beitragen, die Umweltkrise zu lösen? Seine Antwort lautet: »Build the best product, cause no unnecessary harm, use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis.«
Oder wie es auf der Website heißt: „Nutze dein Unternehmen, um die Umweltkrise zu lösen.“