Im journalistischen Storytelling lassen sich zwei grundlegende Storytelling-Kategorien unterscheiden: explizites und implizites Storytelling.

„Explizites Storytelling“ meint journalistische Inhalte, die bewusst als Story gestaltet, also erzählt werden.

„Implizites Storytelling“ bezeichnet journalistische Inhalte, die nicht als Story gestaltet sind, aber dennoch implizit bestimmte Storys erzählen, deren Botschaften vermitteln und damit bestimmte Wirkungen erzielen.

Die historische TV-Dokumentation über die Märzrevolution 1848 ROBERT BLUM UND DIE REVOLUTION der ZDF-Reihe DIE DEUTSCHEN ist ein Beispiel für explizites Storytelling. Sie erzählt die Story von Robert Blum, einem Vorkämpfer der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, der für seinen freiheitlichen Kampf mit dem Leben bezahlt.

Es handelt sich dabei um eine hochbudgetierte Produktion, die die Storyebene mit aufwändigen und teuren Reenactments erzählt, also mit professionellen Schauspielern nachgestellten Szenen, und auf der Kontextebene historische Informationen durch Experteninterviews vermittelt.

Autor: Peter Hartl; dramaturgische Beratung: Werner C. Barg; Producer: Christian Feyerabend, Gruppe 5 Filmproduktion; Redaktion: Stefan Brauburger

Zusammenfassung der dramaturgischen Analyse

Thema- und werteorientierte Dimension

  • kognitives Thema: Märzrevolution / Demokratie in Deutschland / gesellschaftliche Umbrüche
  • emotionales Thema: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit
  • zentrale Frage: Wie ist in Deutschland die Demokratie entstanden? Welchen Beitrag hat die Märzrevolution zum Entstehen der Demokratie in Deutschland geleistet? / bezogen auf Robert Blum: Wie weit darf man im Kampf um Freiheit und Demokratie gehen?
  • Aussage: Die Märzrevolution hat den Grundstein für die Demokratie in Deutschland gelegt. / bezogen auf Robert Blum: Gewalt ist kein Mittel der Demokratie.

 Protagonistenzentrierte Dimension

  • Hauptfigur: Robert Blum
  • dramatisches Ziel: ein demokratisches System in Deutschland errichten
  • dramatische Frage: Wird es Robert Blum gelingen, ein demokratisches System zu etablieren?
  • Motivation / Bedürfnis: Freiheit (inwiefern Anerkennung und Ruhm ebenfalls Bedürfnisse sind, wird in der Reportage nicht deutlich. Denkbar sind sie durchaus.)
  • größte Angst: die Revolution scheitert
  • antagonistische Kräfte: Anti-Demokraten, Monarchisten, König Friedrich Wilhelm, radikale Demokraten wie Friedrich Hecker etc.
  • Tiefpunkt: Nachdem die Bürger gegen die Paulskirche auf die Straße gehen, glaubt Blum alles verloren und denkt darüber nach, nach Amerika zu gehen („symbolischer Tod“). Der erneute Ausbruch der Revolution in Wien lässt ihn jedoch weiterkämpfen („symbolische Wiedergeburt“).
  • Charakterentwicklung: Radikalisierung: vom Ideal der gewaltfreien Revolution zu Gewaltanwendung

 Konflikt- und handlungsbasierte Dimension

  • Erzählabschnitt: politische und gesellschaftliche Situation: Unfreiheit, Monarchie, Hunger, Industrialisierung, Massenauswanderung; Robert Blum ist politischer Schriftsteller und Redner, er kämpft für ein freiheitliches, demokratisches System
  • auslösendes Ereignis: Februar 1848: die französische Revolution hat gesiegt
  • Erzählabschnitt: Die französische Revolution schwappt nach Deutschland, Hoffnung erwacht, es kommt zu Aufständen in den Städten, Bürger fordern Mitsprache, Handwerker begehren gegen Zunftordnungen auf.
  • Wendepunkt: König Friedrich Wilhelm gibt nach; Blum wird als Abgeordneter in das Vorparlament nach Frankfurt geschickt, um die ersten freien Wahlen in Deutschland vorzubereiten und die Grundsteine für ein demokratisches System zu legen.
  • Erzählabschnitt (Hoffnung): Blum wird Vizepräsident des Vorparlaments; es kommt zum Streit mit Friedrich Hecker, der einen radikalen Weg will, Blum einen gemäßigten; Hecker bricht mit dem Vorparlament, er ruft auf eigene Faust die Republik aus, seine Truppen werden jedoch niedergerungen und Hecker flieht nach Amerika; die ersten freien Wahlen in Deutschland finden statt.
  • zentraler Punkt (Hochpunkt): Blum wird gewählt, er zieht als Abgeordneter in die Paulskirche ein, wo die erste frei gewählte Nationalversammlung eröffnet wird: „ein Moment von besonderer Genugtuung“. Blum wähnt sich am Ziel; die Wähler haben jedoch den konservativen und reaktionären Kräften die Mehrheit gegeben, die Blums Vorstellungen von Demokratie eine Absage erteilen, und ausgerechnet dem habsburgischen Erzherzog Johann die Regierungsgewalt der Märzrevolution übertragen.
  • Erzählabschnitt (Katastrophe): Die Realisierung von Blums politischen Vorstellungen wird immer unwahrscheinlicher; seine Anträge werden von der reaktionären Mehrheit abgelehnt, oftmals nur deshalb, weil sie von ihm und seinen Mitstreitern gestellt werden; dänische Truppen besetzen das Herzogtum Schleswig, der preußische Monarch schließt einen Waffenstillstand mit Dänemark, ohne das Parlament mit einzubeziehen; das Parlament stimmt nachträglich dem Waffenstillstand zu und demonstriert damit seine Machtlosigkeit; aus Empörung gehen wieder Menschen auf die Straße, deren Protest sich dieses Mal aber gegen das Parlament richtet.
  • Wendepunkt (Tiefpunkt): Blum glaubt alles verloren, er denkt darüber nach, nach Amerika auszuwandern („symbolischer Tod“); doch dann bricht in Wien erneut die Revolution aus („symbolische Wiedergeburt“); Blum macht sich auf den Weg. Er weiß: Wenn die Revolution in Wien nicht erfolgreich ist, ist sie auch in Deutschland endgültig verloren.
  • Spannungsfrage im dritten Akt: Wird die Revolution in Wien siegen?
  • Erzählabschnitt: Blum in Wien, er greift zum ersten Mal zu Gewalt, die er bisher immer abgelehnt hat: er wird verhaftet und verurteilt; das Urteil wird rückgängig gemacht – zu spät:
  • Höhepunkt: Blum wird hingerichtet; die Verfassung der Paulskirche tritt nicht in Kraft; das Parlament wird aufgelöst.
  • Erzählabschnitt: Der Epilog erzählt von der Empörung über die Hinrichtung; Blum wird zum Märtyrer und Vorbild für alle Kämpfe um die Demokratie in Deutschland.