Die Basis für ein identifikationserzeugendes Storytelling ist die Identität eines Unternehmens: Wer ist das Unternehmen? Wie denkt, handelt und fühlt es und wie gestaltet es seine Beziehungen? Welchen Werten folgt es dabei? Welche Relevanz hat es für die Menschen und die Gesellschaft?

Aus der Perspektive des Professionellen Storytellings ist ein Unternehmen der Erzähler einer Makro-Story mit sich selbst als Hauptprotagonist, der

  • sich in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten (= kognitiven Themen) bewegt
  • auf der Basis eines klar definierten Wertesystems agiert, das aus universellen, sozialen, individuellen und generativen Werten besteht
  • bestimmte Ziele aus bestimmten Gründen verfolgt, damit bestimmte Werte (= emotionalen Themen) realisiert und andere bedroht oder zerstört (was das Unternehmen zu einem ambivalenten Hauptprotagonisten macht)
  • dabei in Konflikte gerät, sie löst und sich dadurch weiterentwickelt
  • auf diese Weise bestimmte Botschaften über sich selbst, über das Menschsein und die Gesellschaft transportiert und deshalb
  • eine bestimmte Bedeutung für die Menschen hat.

Diese Bedeutung ist die Grundlage für das Zustandekommen von emotionalen Identifikationsbeziehungen.

Seine (narrative) Identität ergibt sich aus jenen Mikro-Storys, die es über sich selbst, über das Menschsein, das bessere Leben und die bessere Gesellschaft erzählt.

Makro- und Mikro-Story: Identität entwickeln und Identität erzählen

Der Begriff Story ist dabei in einem weiten Sinne zu verstehen. Er umfasst jede Handlung und Entscheidung, jeden Umgang mit den Mitarbeiter*innen und Partnerunternehmen, jede Pressemitteilung und jeden öffentliche Auftritt, jede Produktentwicklung und jeden Herstellungsprozess usw.

Sie alle stellen (Mikro)Storys dar oder einen Teil von solchen, also gewissermaßen einzelne „Szenen“ oder „Sequenzen“, die eine bestimmte Story transportieren.

Diese Gesamtheit dieser Storys ist die Makro-Story eines Unternehmens, seine Meta-Erzählung, die seine Identität kommuniziert und seine Botschaften vermittelt, also erzählt, wer ein Unternehmen ist, warum es so geworden ist und wie es in Zukunft sein will.

Makro-Storytelling

„Makro-Storytelling“ beschreibt entsprechend den Prozess, der die Identität eines Unternehmens analysiert, definiert und weiterentwickelt. Er umfasst alle drei Zeitdimensionen:

  • Wer ist das Unternehmen? Wie denkt, handelt und fühlt es und wie gestaltet es seine Beziehungen? Welchen Werten folgt es dabei?
  • Wie ist es so geworden? Warum ist, denkt, handelt, fühlt und gestaltet es seine Beziehungen so?
  • Wie will es sich weiterentwickeln und in Zukunft sein? Welche Relevanz will es für die Menschen und die Gesellschaft haben?

Patagonias Makro-Story

Patagonia ist ein geradezu lehrbuchhaftes Beispiel für eine Makro-Story. Sie erzählt

  • in den drei Dimensionen einer guten Story: thema- und werteorientierte Dimension, protagonisten- und handlungszentrierte Dimension und konflikt- und ereignisbasierte Dimension
  • in den vier Welten einer Hauptprotagonist*in: innere Welt des Seins, emotionale Welt der Beziehungen, rationale Welt des Denkens, äußere Welt der Handlungen
  • von der Entwicklung der Identität eines Unternehmens: seiner „Charakterentwicklung“

Bevor Yvon Chouinard Unternehmer wurde, war er ein leidenschaftlicher Kletterer. Die einzigen Kletterhaken, die es zu dieser Zeit gab, waren aus weichem Eisen. Man schlug sie in den Felsen und ließ sie dort zurück, weil man sie nur einmal verwenden konnte. Mehrtägige Big-Wall-Kletteraufstiege, für die Chouinard Hunderte von Sicherheitshaken brauchte, wurden damit zu einem teuren Spaß.

Auslösendes Ereignis und Begegnung mit dem Mentor

Nach einer Begegnung mit einem Schweizer Kletterer und neukirchlichen Klosterbruder, der aus Achsen älterer Ford A-Modelle Sicherungshaken aus härterem Stahl fabriziert hatte, beschloss Chouinard 1957, seine eigene wiederbenutzbare Hardware herzustellen und brachte sich selbst das Schmieden bei.

 

Dramaturgie
Auf der strukturellen Ebene der Konfliktentwicklung ist die Begegnung mit dem schweizer Kletterer das auslösende Ereignis der Handlungsebene, auf der es um die Produkte eines Unternehmens und deren Entwicklung geht.

Im dramaturgischen Modell der Held*innenreise übernimmt er die Funktion de*r „Mentor*in“. Mentor*innen unterstützen Protagonist*innen dabei, ihre „Reisen“ anzutreten und durchzustehen. Oftmals haben sie ein bestimmtes Wissen, das die Protagonist*innen noch brauchen oder sie haben die Reise, die den Protagonistinnen bevorsteht, bereits hinter sich, und wissen, wie man meistert.

Oftmals überreichen sie den Protagonist*innen eine bestimmte Gabe, die sie brauchen, um ihre Reise zu bestehen. Das Laserschwert in STAR WARS ist vermutlich die berühmteste Gabe der Filmgeschichte.

Mentor*innen müssen nicht immer positiv motiviert sein. Sie können die Protagonist*innen auch zum Aufbruch prügeln, sie zwingen, erperssen etc. Entscheidend ist ihre dramaturgische Funktion: Sie bringen die Protagonist*innen dazu, ihre Reise anzutreten.

Erster Wendepunkt

Die Qualität von Chouinards Haken sprach sich schnell herum, und bald schon wollten andere Kletterer seine Haken. Ohne es geplant zu haben, legte er damit den Grundstein für sein Unternehmen.

Dramaturgie
Auf der strukturellen Ebene befinden wir uns hier am ersten Wendepunkt der Story. Sie wendet sich, weil es nicht mehr nur darum geht, für sich selbst besseres Equipment herzustellen, sondern als Unternehmer zu bestehen.

 

Daraus ergeben sich das dramatische Ziel, die dramatische Frage und Chouinards Fallhöhe, die am Anfang noch gering ist, mit steigendem wirtschaftlichen Erfolg aber immer größer wird.

In der Fiktion müssen das dramatische Ziel und die dramatische Frage immer klar und konkret sein, damit die Geschichte mit einer klaren und endgültigen Auflösung enden kann. In der Analyse der Makro-Story eines Unternehmens ist die Situation nicht immer so eindeutig und muss es auch gar nicht sein.

Es war anfangs überhaupt nicht Chouinards Ziel, ein weltweit tätiges mittelständisches Unternehmen aufzubauen, das sich wie kaum ein anderes aktiv für Naturschutz einsetzt. Vielmehr hat es sich zunächst einfach so ergeben. Im weiteren Verlauf der Makro-Story setzte Chouinard dann allerdings sehr konkrete Ziele, mit denen er den Prozess der Makro-Story aktiv steuerte, beispielsweise Stoffe mit einer höheren Qualität zu entwickeln.

 

Hoffnung: „Es läuft gut für die Hauptprotagonist*in.“

Anfangs war Chouinards Geschäft noch mühselig und wenig ergiebig. Er konnte zwei Haken pro Stunde schmieden und verkaufte sie je für 1,50 Dollar aus dem Kofferraum seines Autos. Der Gewinn war entsprechend mager. Manchmal musste er wochenlang mit 50 Cent oder einem Dollar pro Tag über die Runden kommen.

Im Laufe der Zeit stieg jedoch die Nachfrage, bis er mit der manuellen Fertigung nicht mehr nachkam und auf Maschinen umsteigen musste. Unterstützung bekam er 1965 von einem Kletterer und Luftfahrtingenieur, der als Geschäftspartner bei ihm einstieg.

In den folgenden Jahren überarbeiteten und verbesserten sie jedes Kletterutensil, machten sie belastbarer, funktioneller und einfacher in der Handhabung. Da Klettern immer beliebter wurde und die beiden Partner die beste Qualität lieferten, war „Chouinard Equipment“ 1970 der größte Hersteller von Kletter-Hardware in den USA.

Dramaturgie
Dramaturgisch gesehen befindet sich das Unternehmen hier in der „Hoffnung“. „Hoffnung“ ist ein Element des Modells der „emotionalen Reise der Hauptprotagonist*in“, die die Dynamik der Hauptprotagonist*in beschreibt.
 

In der „Hoffnung“ läuft es gut für sie: Sie nähert sich ihrem Ziel an. In der „Katastrophe“ – dem zweiten Element der emotionalen Reise – läuft es schlecht für sie: Sie entfernt sich von ihrem Ziel.

Phasen, in denen sich die Hauptprotagonist*in weder in der Hoffnung noch in der Katastrophe befindet, sind undynamisch und irrelevant.

Handlungsebene und Beziehungsebene: Produkte und Werte

Die steigende Popularität des Kletterns hatte jedoch auch einen Nachteil: Die Haken waren ein ökologischer Übeltäter, da sie den Felsen zerstörten.

Nach der Begehung zweier deutlich verunstalteter Klettergebiete, die noch wenige Jahre zuvor ursprünglich waren, entschieden Chouinard und sein Partner, aus dem Kletterhaken-Geschäft auszusteigen. Das war ein großes finanzielles Risiko, da die Kletterhaken zu diesem Zeitpunkt noch immer die Hauptumsatzbringer waren.

Dramaturgie
Auf der Handlungseben ist diese Entscheidung, keine Kletterhaken mehr zu produzieren, ein spannungsetablierendes Element. Chouinard geht ein großes Risiko ein und die Frage ist, wie es weitergeht, ob er dieses Risiko meistern wird oder ob es das Ende seines Unternehmens einläutet.

 

Bis zu diesem Punkt besteht die Story lediglich aus der Handlungsebene, auf der es um die Produkte eines Unternehmens und ihre Entwicklung geht. Mit der Entscheidung, keine Kletterhaken mehr zu produzieren, die Chouinards ersten Schritt zu einem wertebasierten Öko-Unternehmen darstellt, wird die Beziehungsebene etabliert. Auf ihr geht es um die Werte eines Unternehmens und die Beziehungen, die es zu den Menschen und der Welt hat.

Die Erkenntnis, dass die Haken den Felsen zerstören, ist dabei das auslösende Ereignis, die Entscheidung, deswegen keine Haken mehr zu produzieren, die „erste Handlung“, also die Reaktion auf die Störung durch das auslösende Ereignis im zweiten Erzählabschnitt. Der erste Wendepunkt, ab dem das Unternehmen das Ziel verfolgt, sich über die Produkte hinaus für den Schutz der Umwelt einzusetzen, erfolgt später.

Wie jede gute Story so besteht also auch die Makro-Story von Patagonia aus einer Handlungs- und einer Beziehungsebene. Die Handlungsebene erzählt von der „äußeren Welt der Handlungen“ und der „rationalen Welt des Denkens“, also davon, WAS ein Unternehmen macht und WIE es das macht. Die Beziehungsebene erzählt von der „emotionalen Welt der Beziehungen“ und der „inneren Welt des Seins“, also davon, MIT WEM und FÜR WEN das Unternehmen es macht und WARUM es das macht, von welchen Werten und welcher Vision es sich leiten lässt.

Im weiteren Verlauf der Makro-Story verschiebt sich der Fokus immer mehr von der Handlungsebene auf die Beziehungsebene. Dadurch entwickelt sich Patagonia von einem produktorientierten zu einem werteorientierten Unternehmen.

Erst aufgrund dieser Schwerpunkverlagerung beschleunigte sich das Wachstum des Unternehmens. So erwirtschaftete es beispielweise mit 540 Millionen Dollar Umsatz zwischen April 2011 und April 2012 30% mehr als im Jahr zuvor.

Ohne diese Beziehungsebene würde das Unternehmen heute wahrscheinlich zwar immer noch existieren und hochwertiges Outdoor-Equipment herstellen. Es hätte aber nicht den unternehmerischen Erfolg, das Image, den Markenwert, ein erfolgreiches Marketing, das Identifikationspotenzial und so viele emotionale Identifikationsbeziehungen wie es sie mit dieser Ebene hat.

Statt Haken produzierten Chouinard und sein Partner nun Aluminium-Klemmkeile, die man nicht mit dem Hammer in den Felsen schlagen musste, sondern mit der Hand in einem Riss platzieren und entfernen konnte.

1972 wurden sie erstmals im Katalog vorgestellt. Auf den ersten Seiten schrieb Chouinard ausführlich über die Umweltrisiken der Haken. Es folgte ein 14-seitiger Aufsatz eines Bergsteigers, der die Klemmkeile verwendete, und den Begriff „Clean Climbing“ etablierte. Heute sagt man dazu „User-Story“. Chouinard betrieb also bereits Content Marketing lange bevor es den Begriff gab.

Wenige Monate nach Erscheinen des Katalogs ging der Verkauf von Kletterhaken stark zurück und der Verkauf von Klemmkeilen stieg so stark an, dass „Chouinard Equipment“ mit der Produktion kaum hinterherkam.

1970 brachte Chouinard von einem Kletter-Trip in Schottland ein blau-rot-gelb-gestreiftes Rugby-Shirt mit, dessen robuster Kragen Chouinards Meinung nach beim Klettern das Einschneiden der Materialschlinge am Hals verhindern würde.

Zu dieser Zeit war die „Active Sportswear“ in den USA alles andere als farbenfroh, sondern grau, beige und weiß. Als Chouinards Kletter-Freunde ihn in dem Rugby-Shirt sahen, wollten sie sofort auch eins, und Chouinard organisierte sie ihnen.

Um das Image von Chouinard als Hardware-Unternehmen nicht zu beschädigen, wenn unter diesem Label auch Kleidung verkauft wird und weil die Bekleidung nicht ausschließlich mit Bergsport und Klettern in Verbindung gebracht werden sollte, entschied sich Chouinard, der Bekleidungssparte einen eigenen Firmennamen zu geben: Patagonia.

Der Grund dafür war recht einfach: Patagonia löst ähnliche Assoziationen aus wie Timbuktu oder Shangri-La: Es ist weit weg, interessant, rätselhaft, unbekannt. Und es kann in jeder Sprache ausgesprochen werden.

Mit dem Vertrieb von Bekleidung gab sich Chouinard jedoch nicht lange zufrieden, sondern begann schnell mit der Produktion eigener Bekleidung. Zuerst verwendete er dafür andere Materialien, beispielsweise Fasern, die von Nordatlantikfischern oder für Schiffstaue verwendet wurden. Nach und nach ging er dann dazu über, eigene Materialien zu entwickeln und verstärkt in Forschung und Entwicklung zu investieren.

In den 80-er Jahren wuchs das Unternehmen rasant, die Marke Patagonia wurde zu einem Modetrend, der Bekanntheitsgrad reichte weit über die Outdoorszene bis zu modeorientierten Endverbrauchern hinaus.

Trotz des schnellen Wachstums wurde die Firmenkultur aufrechterhalten: Die meisten Mitarbeiter*innen waren Freund*innen, sie konnten anziehen, was sie wollten, barfuß herumlaufen, in der Mittagspause Laufen oder Surfen gehen oder auf dem Sandplatz hinter dem Firmengebäude Volleyball spielen.

Regelmäßig lud die Firma zu gemeinsamen Ski- und Kletterausflügen ein. Die meisten Unternehmungen wurden aber in privatem Rahmen unter befreundeten Kolleg*innen organisiert, die Freitagsabends zum Klettern fuhren und Montagsmorgens erschöpft, aber glücklich wieder im Büro erschienen.

1984 wurde außerdem eine firmeneigene Kindertagesstätte eröffnet, zu diesem Zeitpunkt eine von nur 150 in den gesamten USA. Außerdem wurden für berufstätige Eltern, aber auch Nicht-Eltern, flexible Arbeitszeiten und Jobsharing angeboten.

Tiefpunkt: „Alles scheint verloren“

Im Sommer 1991 wurde dem schnellen Wachstum zunächst ein Ende gesetzt. Der Umsatz brach während der Rezession ein und die Banken, die selbst mit Problemen zu kämpfen hatten, forderten die Darlehen zurück.

Um die Schulden abzubauen, musste das Unternehmen seine Kosten drastisch senken, den Lagerbestand reduzieren und 20 Prozent der Mitarbeiter*innen entlassen – viele davon Freund*innen und Freund*innen von Freund*innen. Außerdem verlor es beinahe seine Unabhängigkeit als Unternehmen.

Dramaturgie
In der Konfliktentwicklung handelt es sich hierbei um den Tiefpunkt der Hauptprotagonist*in auf der Handlungsebene – „Alles scheint verloren“ – und um ihren „symbolischen Tod“: Das alte Ich stirbt.

 

Denn so weitermachen wie bisher konnte das Unternehmen nicht, es musste sich verändern, um seine „symbolische Wiedergeburt“ zu erleben. Diese bestand für Chouinard in der Lehre, nicht mehr mit allen Mitteln schnell wachsen zu wollen und sich dafür zu verschulden, sondern auf ein langsameres Wachstum zu setzen und sich nur in bescheidenem Maße zu verschulden.

Damit hat Chouinard auf der Handlungsebene einen Weg eingeschlagen, den das Unternehmen heute noch geht. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser Erzählstrang damit seine Dynamik verliert und zu Ende wäre.

Das Unternehmen hat seither zahlreiche Neuerungen eingeführt und Innovationen entwickelt, nicht nur im Hinblick auf eine Verbesserung der Produktqualität, sondern auch im Hinblick auf seine Naturschutzaktivitäten. Die Innovationen wurden also sowohl vom dramatischen Ziel der Handlungsebene als auch von den universellen Werten der Beziehungsebene angetrieben, die zusehends stärker und irgendwann die dominante wurde.

Beziehungsebene: erster Wendepunkt

Der Umstieg von Kletterhaken auf Klemmkeilen war die erste Entscheidung für den Schutz der Natur und gegen das bloße Gewinnstreben. Die universellen Werte des Naturschutzes wurden hier noch über die Weiterentwicklung der Produkte realisiert. Es dauerte aber nicht lange und das Unternehmen begann, sich über seine Produkte hinaus aktiv für den Umweltschutz einzusetzen.

Das erste Mal geschah direkt vor seiner Haustür. Es ging um die Rettung einer lokalen Surfstelle, die durch die Kanalisierung des nahegelegenen Ventura River zerstört worden wäre. Experten erklärten, dass der Fluss tot sei nachdem durch den Bau von zwei Stammdämmen in den 40-er Jahren nur noch Wasser von Regenfällen im Winter und aus der Kläranlage in ihn flossen, und eine Kanalisierung deshalb keine Auswirkung auf die noch existierende Tierwelt hätte. Damit schien die Surfstelle verloren.

Sie wurde dann aber durch den Einsatz eines 25-jährigen Biologiestudenten gerettet. Er hatte Fotos entlang des Flusses gemacht, die zeigten, dass noch zahlreiche Tierarten in und um den angeblich toten Fluss lebten. Damit war das Bauprojekt hinfällig. Chouinard bot dem Studenten einen Arbeitsplatz und weitere Unterstützung beim Kampf um die Rettung des Flusses an.

Chouinard zog aus dieser Rettungsaktion die Erkenntnis, dass kleine Gruppen engagierter Menschen mit ihrem Kampf zum Schutz von kleinen Flecken Lebensraums oftmals mehr bewirken können als die großen Organisationen.

Dramaturgie
Diese Erkenntnis stellt den „ersten Wendepunkt“ der Beziehungsebene dar, ab die Hauptprotagonist*in aktiv ihr Ziel verfolgt, um bestimmte Werte zu realisieren.

 

Ab jetzt setzte sich das Unternehmen über seine Produkte hinaus für den Schutz der Natur ein und entwickelte nach und nach seine Vision, die immer stärker die Identität des Unternehmens prägte.

Es begann, regelmäßig für Umweltprojekte zu spenden und kleine lokale Umweltgruppen zu unterstützen, die sich für die Rettung oder Renaturierung von bedrohten Lebensräumen einsetzten, anstatt großer nichtstaatlicher Organisationen, die viele Mitarbeiter*innen, hohe Fixkosten und gute Beziehungen haben.

1986 verpflichtete sich Patagonia, jährlich zehn Prozent seines Gewinns an lokale Umweltgruppen zu spenden. Später erhöhte es seinen Einsatz auf ein Prozent des Umsatzes oder zehn Prozent des Gewinns, je nachdem was höher ausfiel.

Seit 1988 führt Patagonia außerdem jährlich eine Umweltschutzkampagne zu einem bestimmten Thema durch. Alle eineinhalb Jahre hält es eine Konferenz für Umweltaktivisten ab, um den Vereinen und Organisationen, mit denen es zusammenarbeitet, Wissen über Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zu vermitteln.

Mitte der 80-er Jahre begann das Unternehmen, seine eigene Rolle als umweltverschmutzendes Unternehmen zu überdenken – also seine eigenen antagonistischen Anteile – und die negativen Folgen seines Handelns für die Umwelt zu verringern. So stellte es beispielsweise zunächst auf Recycling-Papier für seine Kataloge um und entwickelte eine Methode des Polyester-Recyclings.

Zentraler Punkt: vom produkt- zum werteorientierten Unternehmen

Anfang der 90-er Jahre untersuchte ein unabhängiges Forschungslabor vier wichtige Fasern im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Baumwolle – eine sogenannte natürliche Faser – ist mit Abstand der schlimmste ökologische Übeltäter, der Boden und Wasser verunreinigt und die Gesundheit der Feldarbeiter schädigt.

Nach einem Besuch von Baumwollfeldern, die wie Mondlandschaften aussahen und über denen der Gestank der Selenbecken wehte, stellte sich das Unternehmen die Frage:

Können wir weiterhin Produkte herstellen, die unsere Erde in solchem Maße mit Abfallstoffen belasten?

Dramaturgie
Das Ergebnis dieser Untersuchung stellt den „zentralen Punkt“ der Makro-Story von Patagonia dar: Ab jetzt dominiert die Beziehungsebene die Handlungsebene, indem das Unternehmen die Werteorientierung ins Zentrum seiner Identität stellt und sein gesamtes Denken, Handeln und seine Beziehungsgestaltung danach ausrichtet.

Charakterentwicklung: vom Kletterhaken zur Konsum- und Wachstumskritik

Mit der verneinenden Antwort auf diese Frage definierte Patagonia endgültig seine Vision von einer Welt, in der die Umweltkrise gelöst ist, und stellt seitdem die Frage, was es tun kann, um seine Vision zu realisieren, in den Mittelpunkt seines unternehmerischen Seins, Denkens und Handelns sowie seiner Beziehungsgestaltung:

Wie können wir uns am Kampf zum Erhalt der Natur beteiligen, diesen Kampf gewinnen und damit den besorgniserregenden Umweltzustand unseres Planeten in sein Gegenteil umkehren?

Wie können wir unser Unternehmen gestalten und unsere Mitarbeiter*innen dazu veranlassen, ihre und unsere Umweltbelastung auf ein Minimum zu reduzieren – um der Erde mehr zurückzugeben als von ihr zu nehmen?

Wie können wir bei den Menschen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Umweltschutz schaffen und ein Umdenken bewirken?

Wie können wir andere Unternehmen inspirieren, ebenfalls Lösungen für die Umweltkrise zu entwickeln?

Was können wir darüber hinaus noch tun, um unsere Vision zu realisieren?

Wer ist außer uns bestrebt, unsere Vision zu realisieren? Wie können wir ihn oder sie unterstützen?

Als Antwort auf diese Fragen hat Patagonia seitdem eine Reihe von Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, mit denen es der Realisierung seiner Vision näherkommt:

So stellt es beispielsweise Mitte der 90-er Jahre seine Sportswear-Line komplett auf Bio-Baumwolle um. Da über die Baumwollhändler nicht genug Bio-Baumwolle erhältlich war, arbeitete es direkt mit den wenigen Bauern zusammen, die Baumwolle nach biologischen Methoden anbauten. Außerdem verwendet es keine Farbstoffe mehr, deren Herstellung und Verarbeitung giftige Metalle und Sulfide erfordern.

Genauso wichtig wie die Suche nach umweltfreundlicheren Materialien ist dem Unternehmen das Recycling seiner Produkte. Mittlerweile können Kunden beispielsweise eine Jacke aus Polyester zurückgeben, die das Unternehmen dann zu neuen Fasern oder einem anderen Kunststoffgegenstand verarbeitet.

Seit 2005 hat das Unternehmen über 82 Tonnen Kleidung zum Recyceln zurückgenommen (Stand 2016). Auch die Umweltbelastung durch die Unternehmensgebäude senkt es immer weiter, beispielsweise durch die Verwendung von Solarstrom, ökologischen Beleuchtungssystemen, Recyclingmaterialien für den Bau und die Inneneinrichtung, Abfall-Recycling, Maßnahmen zum Regenwasser-Abfluss und zur Senkung des Wasserverbrauchs.

Da es als „Einzelkämpfer“ seine Vision nicht realisieren kann, setzt es außerdem regelmäßig Maßnahmen um, mit denen es das Verhalten seiner Mitarbeiter*innen, seiner Partnerunternehmen, der gesamten Branche und den Konsumenten im Sinne seiner Vision beeinflusst, und Organisationen und Unternehmen unterstützt, die die gleiche Vision verfolgen.

„Footprint-Chronicles“

Eine sehr umfassende und dauerhafte Maßnahme sind beispielsweise die „Footprint-Chronicles“, mit denen das Unternehmen seit 2007 seine eigenen Geschäftspraktiken unter die Lupe nimmt.

Ziel ist, die gesamte Lieferkette – von den Rohstoffquellen über die Textilfabriken bis zu den Nähereien – transparent und damit die Herkunft der Produkte nachvollziehbar zu machen. Damit will es seine eigenen negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen und die der gesamten Branche verringern, sicherstellen, dass alle Produkte in der gesamten Lieferkette unter sichern, fairen, legalen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen gefertigt werden und einen Dialog anregen, der das Handeln in der globalen Textilindustrie beeinflusst.

Dafür führt es auch selbst eine ganze Reihe sorgfältiger Prüfungen durch. Potenzielle neue Geschäftspartner werden einer vierfachen Kontrolle unterzogen, bei der soziale und ökologische Aspekte genauso berücksichtigt werden wie Qualität, finanzielle Stabilität, Kapazität und Preise. Mit einer Firma, die die Kontrollen verweigert, macht Patagonia keine Geschäfte.

Diese umfangreichen Informationen werden im Online-Shop des Unternehmens jedem einzelnen Produkt entsprechend veröffentlicht.

„Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen und wissentlich mittelmäßige Produkte herstellen. Und wir dürfen unsere Augen nicht vor dem Schaden verschließen, den wir alle zusammen auf unserer einzigartigen Erde anrichten.“

Außerdem wird immer wieder auch die Unternehmensstruktur dahingehend überprüft, ob sie entsprechend den Werten und der Vision umgestaltet werden kann.

So gibt es beispielsweise seit 2010 ein Social/Environmental Responsibility (SER)-Team, für das die Position des Social Responsibility Managers auf das Niveau eines Director of Social/Environmental Responsibility angehoben wurde. Wie bisher bereits jedes Team der Qualitätskontrolle kann nun auch dieses Team gegen eine Zusammenarbeit mit einer neuen Firma ein Veto einlegen.

„Drive-Less“

Auch seine Mitarbeiter*innen unterstützt Patagonia dabei, ihre Umweltbelastung zu verringern. Das „Drive-Less“-Programm beispielsweise schafft finanzielle Anreize, um Fahrgemeinschaften, das Fahrrad, Skateboards, öffentliche Verkehrsmittel oder sonstige Mittel zu nutzen, anstatt allein im Auto zur Arbeit zu fahren.

Alle teilnehmenden kanadischen und US-amerikanischen Mitarbeiter*innen erhalten zwei Dollar pro Fahrt für bis zu zwei Fahrten pro Tag. Dadurch können sie pro Jahr 500 Dollar brutto zusätzlich verdienen.

Im ersten Jahr haben 900 Mitarbeiter*innen teilgenommen. Dadurch wurden in jenem Jahr insgesamt 1,1 Millionen Kilometer weniger gefahren, 97.000 Liter Treibstoff gespart und rund 225 Tonnen weniger CO2 ausgestoßen.

„Bike-to-Work-Week“

In der „Bike-to-Work-Week“ treffen sich jedes Jahr im Juni fahrradbegeisterte Mitarbeiter*innen, um zu feiern und das Fahrrad als ökologisches Transportmittel zu fördern. Im Jahr 2015 sind die Angestellten in Ventura, Reno und den Einzelhandelsgeschäften in dieser Woche 24.198 km (15.036 Meilen) mit dem Rad gefahren. Für jede Meile spendete das Unternehmen einen Dollar an eine örtliche Vereinigung zur Förderung des Radfahrens.

„20 Million & Change“

Neben den Unternehmen, mit denen Patagonia zusammenarbeitet, unterstützt es auch Unternehmen, die die gleiche Vision verfolgen: Mit dem „20 Million & Change“-Kapitalfonds investiert Patagonia 20 Millionen Dollar in neue Wirtschaftszweige und „ähnlich denkende, verantwortungsvolle Jungunternehmen“, um sie „bei ihren Bemühungen um ökologische Verbesserungen finanziell zu unterstützen“.

Corporate Giving

Auch Non-Profit-Organisationen, die sich der gleichen Vision verschrieben haben und deshalb Wertepartner bzw. „Vision Buddies“ sind, unterstützt Patagonia.

So investiert das Unternehmen viel Zeit und Geld in die Unterstützung kleiner, oft ehrenamtlich geführter Umweltschutzgruppen, die Basisarbeit leisten und drastische und strategische Maßnahmen ergreifen, um Lebensraum, wilde Naturlandschaften und Artenvielfalt zu schützen: Dämme abreißen, Wälder und Flüsse renaturieren, Land- und Meeresbiotope schützen, regionale nachhaltige Bio-Landwirtschaft fördern.

Statt wenige große Initiativen mit großen Summen zu unterstützen, fördert Patagonia ganz gezielt kleine lokale Gruppen, die von anderen spendenwilligen Unternehmen oft nicht wahrgenommen werden, aber unmittelbar vor Ort meistens mehr bewirken können als die großen Organisationen.

2015 hat Patagonia mit seinen Corporate Giving-Maßnahmen 6,2 Millionen Dollar an 741 Umweltgruppen gespendet. Seit Bestehen des Programms 1985 haben tausende lokale Gruppen über 70 Millionen Dollar an Geld- und Sachspenden erhalten.

Welche Gruppen unterstützt werden, entscheidet dabei die Geschäftsführung nicht alleine. 2015 waren über 500 Mitarbeiter*innen direkt an der Vergabe der Zuschüsse beteiligt.

„The New Localism“

Als eine weitere Maßnahme hat Patagonia in diesem Zusammenhang die Bewegung „The New Localism“ ins Leben gerufen, die „Freund*innen von Patagonia“ aufruft, das Unternehmen „über Gebiete, die ihnen am Herzen liegen und die bedroht sind“, zu informieren.

Als beispielsweise im Mai 2015 in Santa Barbara County eine Ölleitung brauch und über 500.000 Liter Erdöl über die kalifornische Küste ergoss, unterstütze Patagonia beim kalifornischen Parlament vier Gesetzesvorlagen, von denen im Oktober 2015 drei in Kraft getreten sind.

Corporate Volunteering: „Patagonia Employee Internship Program“

Auch die Mitarbeiter*innen können mit ihrer Zeit Umweltgruppen direkt unterstützen. Da viele Patagonia-Mitarbeiter*innen von der Arbeit der unterstützten Umweltgruppen begeistert waren, startete das Unternehmen 1993 die Corporate Volunteering-Maßnahme „Patagonia Employee Internship Program„.

In diesem Programm erhalten Mitarbeiter*innen aus allen Bereichen bis zu zwei Monate bezahlten Urlaub inklusive aller Zusatzleistungen, um für eine Umweltgruppe ihrer Wahl zu arbeiten.

2015 nutzten 34 Mitarbeiter*innen, zwölf Geschäfte und eine Abteilung diese Möglichkeit und haben für 43 Organisationen 10.424 Stunden unbezahlte Arbeit auf Firmenkosten geleistet: „Für kleine Basisgruppen in den Gemeinden kann ein*e kostenlose Patagonia-Praktikant*in eine große Hilfe sein. Und wenn die Praktikant*innen zurückkehren, bereichern sie unser Umweltprogramm mit ihren Berichten, ihren Ideen und ihrem Engagement.“

Überhaupt liegen die Mitarbeiter*innen dem Unternehmen am Herzen: Neben dem Umweltpraktikum unterstützt es sie weiter mit Krankenversicherungen, Mutter- und Vaterschaftsurlaub und Zuschüssen zur Kinderbetreuung.

Dabei fangen die Überlegungen zum Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen bereits bei ihrer Einstellung an:

„Wir sind eher dazu bereit, auf einen vagabundierenden Kletterer zu setzen als auf einen mittelmäßigen Betriebswirt. Einen eingefleischten Geschäftsmann für das Klettern oder Paddeln zu begeistern, ist weit schwieriger, als einem Outdoor-Fan beizubringen, wie die Arbeit zu machen ist.“

Diese „Kriterien“ bringen einen klaren Vorteil mit sich: Identifikation und Motivation. Die Fluktuation bei Patagonia bewegt sich im einstelligen Bereich und im Schnitt erhält das Unternehmen zweihundert Bewerbungen im Monat.

„1% for the Planet Club“

Darüber hinaus initiiert Patagonia die Gründung von Organisation, um die Umweltbelastung der gesamten Branche zu verringern.

Ein paar Beispiele: Bereits in den 1990er Jahren hat das Unternehmen im Zuge der Überprüfung seiner Textilhersteller auf Sozialverträglichkeit bei der Gründung der gemeinnützigen Arbeitsrechtsorganisation „Fair Labor Association (FLA)“ mitgewirkt.

Es ist Mitbegründer des „1% for the Planet Clubs“, einem Zusammenschluss von Firmen, die ein Prozent ihres Umsatzes dem Umweltschutz zugutekommen lassen, weil sie

„[…] verstanden haben, dass Gewinn und Verlust in direktem Zusammenhang mit dem Zustand unserer Umwelt stehen und sich deshalb für den Erhalt der Natur einsetzen und sich der sozialen und umweltpolitischen Folgen ihres Handelns bewusst sind.“

Im Oktober 2016 sind über 1200 Unternehmen Mitglied dieses Zusammenschlusses, der bisher über 100 Millionen Dollar an über 3300 Nonprofits gespendet hat.

„Textile Exchange“

Außerdem ist Patagonia Gründungsmitglied der 2002 gegründeten „Textile Exchange“. Das Ziel der Organisation ist, weltweit den Absatz von Kleidung aus Bio-Baumwolle zu fördern und alle natürliche, biologischen und recycelten Fasern zu unterstützen.

Die ständige und konsequente Weiterentwicklung von Patagonias Vision zeigt sich auch in Maßnahmen, die der Umweltproblematik eine größere Öffentlichkeit verschaffen und auf einen Bewusstseinswandel und ein Umdenken bei seien Kundinnen und Kunden abzielen.

„DamNation“

Eine Maßnahme, die diesem Zweck dient, ist die Co-Produktion von Reportagen und Dokumentarfilmen. Protagonist*innen dieser Filme sind immer Aktivist*innen, die ein konkretes Umweltproblem lösen wollen, deren Ziel es ist, eine Umweltzerstörung zu verhindern oder rückgängig zu machen.

So erzählt beispielsweise der Dokumentarfilm „DamNation“ von Menschen, die Schäden, die Staudämme in Amerikas Natur anrichten, verhindern oder rückgängig machen wollen. Der Film hat bereits zahlreiche Filmpreise gewonnen.

Konsumkritik

In anderen Maßnahmen geht es nicht mehr nur darum, Verantwortung für die Umweltbelastungen zu übernehmen, die durch die Produktion und den Verkauf seiner Produkte entstehen, sondern für die, die durch den Konsum und die Entsorgung seiner Produkte erzeugt werden.

Der Gedanke dahinter lässt sich so formulieren: Indem wir Menschen unsere Produkte verkaufen, sind wir indirekt mitverantwortlich für eine Umweltbelastung, sobald sie das Produkt entsorgen. Was können wir also nach dem Verkauf noch zusätzlich tun, um unsere Umweltbelastung zu mindern und gleichzeitig ein Bewusstseinswandel zu erzeugen?

Diese Überlegungen führten das Unternehmen zu einer grundlegenden Konsumkritik und stellen einen weiteren Schritt in seiner „Charakterentwicklung“ dar, die einer einfachen Gleichung folgt: weniger Konsum = weniger Abfall = weniger Umweltbelastung. Auf der Website heißt es dazu:

„Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Teure Produkte wie Autos oder Waschmaschinen lässt man gewöhnlich reparieren, aber sonst ist es meist einfacher und billiger, etwas Neues zu kaufen. Dadurch entsteht eine Gesellschaft von Konsumenten – nicht von Besitzern. Und das ist ein großer Unterschied. Besitzer übernehmen Verantwortung für ihre Produkte – für deren richtige Pflege, Reinigung, Reparatur, Nutzung und Weitergabe. Konsumenten hingegen kaufen, werfen weg und kaufen neu – und stürzen uns dadurch in den ökologischen Ruin. […] aber leider wird bewusste Begrenzung der Nutzungsdauer noch immer als cleveres Marketing gefeiert. […] Unsere Produkte möglichst lang zu nutzen, ist das Beste, was wir als Verbraucher für die Umwelt tun können. Indem wir die Lebensdauer unserer Kleidung durch Pflege und Reparatur verlängern, müssen wir weniger neue Sachen kaufen und vermeiden so die CO2-Emissionen, Abfälle und Abwässer, die mit ihrer Herstellung verbunden wären“.

Um übermäßigem und schnellem Konsum zu entgegen, gibt das Unternehmen deshalb eine lebenslange Garantie auf seine Produkte und stellt auf der Homepage umfangreiche Pflege- und Reparaturanleitungen zur Verfügung, um Kunden dabei zu helfen, ihre Ausrüstung selbst zu reparieren und ihre Langlebigkeit zu erhöhen.

„Worn Wear“

Die zentrale Maßnahme im Kontext dieser Konsumkritik trägt den Titel „Worn Wear“ und den Slogan „Repair is a radical act“.

Sollte eine Reparatur zu schwierig sein, bietet Patagonia einen Reparaturservice an: In der größten Reparaturabteilung Nordamerikas in Nevada beschäftigt Patagonia 45 Vollzeit-Kräfte, die 2015 rund 40.000 Reparaturen durchführten. Die Reparaturwerkstatt in Europa befindet sich in Portugal.

Außerdem wurden die Mitarbeiter*innen in den Läden geschult, einfache Reparaturen selbst auszuführen. Die „Worn Wear“-Aktion unterstützt außerdem Kund*innen dabei, ihre gebrauchte Kleidung weiterzuverkaufen oder zu tauschen.

Eine weitere Aktion dieser Maßnahme ist ein mit Biodiesel betriebener Werkstatt-Truck, der einmal im Jahr für einen Monat durch die USA reist, um mit solarbetriebenen Nähmaschinen Patagonia-Kleidung kostenlos zu reparieren. Diese Aktion gibt es mittlerweile auch in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien.

„Don´t buy this Jacket“

Am deutlichsten drückte sich Patagonias konsumkritische Haltung in einer ganzseitigen Anzeige in der „New York Times“ aus, die erstmalig 2011 am sogenannten Black Friday erschien, ausgerechnet an jenem Tag also, an dem die Weihnachtseinkäufe in den USA beginnen. Ihre Headline lautet: „Don´t buy this Jacket“.

Abgebildet ist eine der meistverkauften Patagonia-Jacken, der Text darunter schlüsselt deren Umweltbilanz auf und endet mit der Aufforderung:

„Dont´buy what you don´t need. Think twice before you buy anything.“

Im Blog-Post zu der Anzeige heißt es:

„to lighten our environmental footprint, everyone needs to consume less. Businesses need to make fewer things but of higher quality. Customers need to think twice before they buy.”

Die Frage, ob die konsumkritische Haltung von Patagonia nicht nur eine clevere Marketingmaßnahme und damit letztlich unglaubwürdig ist, ist berechtigt. Zumal Patagonia durch die „Don´t buy this Jacket“-Kampagne nicht weniger verkauft hat, sondern wahrscheinlich sogar mehr.

Denn die Kampagne hatte durch die mediale Berichterstattung darüber – Stichwort Storydoing: „Tue Gutes und lass andere darüber erzählen“ – einen enormen Marketingeffekt mit positiven Auswirkungen auf das Image der Marke. Der Marketing-Chef Rob Bondurant sagte dazu:

„Wir glauben nicht, dass es die Verkäufe beeinflusst, wenn wir Leuten sagen, sie sollten weniger kaufen. Wenn überhaupt, hat es sie gesteigert“.

Viele Menschen haben Patagonia durch diese Anzeige kennen gelernt, sich mit ihm identifiziert und ein Produkt von ihm gekauft – von ihm, nicht von einem Wettbewerber, dessen Produkte nicht so lange haltbar sind oder von dem Unternehmen wieder recycelt werden.

Die Rechnung dahinter ist folgende: Potenzielle Patagonia-Kunden entscheiden sich wegen des guten Rufs des Unternehmens für eine teure Jacke und gegen eine billige Alternative. Die Patagonia-Jacke hält dann länger, der Hersteller repariert sie bei Bedarf, unterstützt Wiederverkäufe oder recycelt sie, wenn sie nicht mehr gebraucht wird. Dadurch kaufen die Leute insgesamt weniger Jacken – Patagonia aber verkauft mehr.

Die konsumkritische Haltung ist außerdem auch deshalb glaubwürdig, da sie nicht die einzige Maßnahme der „Worn Wear“-Aktion ist, die dazu beiträgt, den Konsum zu reduzieren. Und weil eine konsumkritische Haltung angesichts der Makro-Story und der Charakterentwicklung von Patagonia plausibel ist. Sie ist ein konsequenter Ausdruck der inneren Welt und erzeugt damit eine hohe Glaubwürdigkeit und ein großes Identifikationspotenzial.

Wachstumskritik

Doch auch damit ist die Weiterentwicklung der Identität von Patagonia nicht abgeschlossen. Denn konsequent weitergedacht stellt sich die Frage, warum so viel konsumiert – und weggeworfen – wird.

Patagonias Antwort darauf lautet: weil unser Wirtschaftsmodell auf permanentes Wachstum ausgelegt ist. Produkte mit einer langen Lebensdauer tragen jedoch nicht zum Wachstum bei. Deshalb müssen Produkte so produziert werden, dass sie schnell kaputtgehen, eine Reparatur sich nicht mehr lohnt oder sie aus anderen, beispielsweise modischen Gründen, nicht mehr verwendet und von neuen ersetzt werden.

Die Wachstumsabhängigkeit des Wirtschaftsmodells ist also einer der Hauptgründe für die Zerstörung der Umwelt. Deshalb hat Patagonia seine Konsumkritik in eine Wachstumskritik weiterentwickelt und führte im Herbst 2013 eine Kampagne durch, in der es für eine Abkehr vom Wachstum und eine Änderung unseres Wirtschaftsmodells eintritt, also des Modells, in dem es selbst erfolgreich geworden ist.

Stattdessen fordert es, eine neue Messgröße für den Erfolg eines Unternehmens zu finden, die nicht darauf beruht, immer mehr Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Etwas Ähnliches bewirbt auch der Ex-Banker Pavan Sukhdev, der auf Veranstaltungen Patagonia und seine Werbekampagne gern als eines seiner Lieblingsbeispiele anführt.

Die WirtschaftsWoche zitiert dazu Vincent Stanley, der Neffe des Firmengründers Yvon Chouinard, der dem Guardian sagte:

„Wir wollen diskutieren, wie eine verantwortungsvollere Wirtschaft aussehen würde, eine, die nicht nur auf Konsum beruht“.

Er will herausfinden, was Leute allgemein zufrieden macht, und wie man sich von der Idee verabschieden kann, Shopping als Unterhaltung zu begreifen.

Patagonias „Charakterentwicklung“ beginnt also bei einem Kletter-Freak, der mit dem verfügbaren Equipment unzufrieden war und deshalb in einer kleinen Schmiede sein eigenen Kletterhaken herstellte, und endet gegenwärtig bei einem weltweit tätigen mittelständischen Unternehmen, das mittlerweile aufgrund seiner ökologischen Ausrichtung eine für ein Unternehmen scheinbar ökonomisch irrationale konsum- und wachstumskritische Position vertritt.

Ganzheitliche Werteorientierung

Patagonia ist ein werteorientiertes ganzheitliches Unternehmen. Es fokussiert sich nicht auf die Produktion und den Vertrieb von Produkten, sondern auf die Realisierung seiner Vision: Seine innere Welt des Seins – also sein Wertesystem, das sich in der Vision kristallisiert, seine Überzeugungen und sein Selbstverständnis – prägen seine emotionale Welt, seine rationale Welt und seine äußere Welt, also seine Beziehungen, sein Denken und Handeln.

Das ist der Grund, warum Patagonia so glaubwürdig ist, Vertrauen schafft, emotionale Identifikationsbeziehungen aufbaut und nicht nur Gewinn, sondern gute Geschäfte macht.